Zurück in die Zukunft – das Zeitkonzept der Aymara
......und was es für mich mit Yoga zu tun hat............
Die Zeit konstruieren wir Menschen uns immer auf einer Zeitachse in Beziehung zu
unserem Körper: Nahezu alle Sprachen auf der Welt beschreiben die Zukunft als etwas, das
vor uns liegt, während die Vergangenheit „rückwärts“ angesiedelt ist.
Wir sagen: „Die Vergangenheit liegt hinter mir, die Zukunft jedoch liegt vor mir!“
In der Aymara Sprache aber, der Sprache eines indigenen Andenvolkes, ist es genau umgekehrt!
Diese Tatsache finde ich sehr interessant: die Aymara sagen: die Vergangenheit liegt vor mir,
ich kann sehen, wie mein Weg in der Vergangenheit verlief, ich kann darauf schauen, was in
meiner Vergangenheit geschah. Die Zukunft jedoch liegt hinter mir, sie liegt im Dunkeln,
Ungewissen, sie ist noch verborgen vor meinem Blick.
Als ich zum ersten Mal vom Volk der Aymara las (als ich mit meiner Tochter in Berlin im
Museum für Kommunikation die Ausstellung „Was andere Sprachen anders machen“
besuchte), war ich schockiert und fasziniert zugleich: Wow! Was für ein Wechsel der
Perspektive! Und: Wie sehr bestimmt die Sprache, mit der wir aufwachsen, unser Erleben und
Denken!?
Das Zukunftskonzept der Aymara gefällt mir gut. Wir (vor allem in unserer westlichen Welt)
verbinden die Zukunft mit dem Gedanken, dass wir planen, gestalten, strukturieren,
vorausbestimmen wollen und sollen und sehen die Zukunft zumeist als eine Zeit der
Vorausplanung und (häufig auch) der Selbstoptimierung. Natürlich ist es nötig, zu planen,
vorausschauend zu denken und zu handeln, das bezweifle ich nicht. Doch gerade die jetzige
Zeit zeigt uns doch auch so eindrücklich, wie wir nicht alles in der Hand haben, nicht alles
planbar ist. Das Beste, was wir für unsere Zukunft tun können ist wohl, hier und jetzt und in
uns die Grundlagen zu schaffen, damit wir gut auf die vor uns liegende Zeit vorbereitet und
offen für alles Neue sein können, körperlich, emotional und mental.
„Im Moment sein und gut für uns sorgen“ - damit wir bereit werden für das noch Ungewisse,
Verborgene und es angemessen nehmen und gestalten können.
Und da kommt auch sogleich unsere Yogapraxis ins Spiel!
Im Yoga verbinden wir die Vorbeugen mit dem Blick in die Vergangenheit, sie sind wie eine
kleine innere Einkehr, machen uns ruhig und besinnlich. Die Rückbeugen hingegen verbinden
wir mit dem Blick in die Zukunft, sie öffnen unser Herz und erhellen das Gemüt. Sie beinhalten
das Wagnis, mal kurz in die Zukunft zu schauen. Wir müssen den Mut aufbringen, uns nach
hinten zu beugen, ins Verborgene, Ungewisse, noch hinter uns Liegende, was uns häufig nur
ansatzweise gelingt……Rückbeugen fördern das Vertrauen, uns rückhaltlos dem Unbekannten
gegenüber zu öffnen…….was für ein Bezug zur Zukunftsvorstellung der Aymara!
P.S.: Übrigens: Man fand heraus, dass besonders die Mitglieder der älteren Generation der
Aymara, die kein korrektes Spanisch sprechen, Formulierungen über die Zukunft mit einer
Geste begleiten: Sie zeigen mit dem Daumen über die Schulter :)